BGH, 13.01.1982, VIII ZR 159/80
Ausländersicherheitsleistung – Iran
Leitsatz
1. Zur Frage der Beweislast bei der Einrede der mangelnden Sicherheit für die Prozeßkosten.
Fundstellen
EBE/BGH 1982, 86-87 (Leitsatz l und Gründe)
ZIP 1982, 363-364 (Leitsatz l und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend OLG Karlsruhe, 8. Mai 1980, Az: 4 U 135/79 vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 8. August 1979, Az: 8 O 196/75
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 4. Zivilsenat in Freiburg – vom 8. Mai 1980 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, nimmt die Beklagte, eine Brauerei in R, auf Schadensersatz in Anspruch.
2 Das Landgericht hat der Klage durch Teilurteil in Höhe von 64.200,— DM nebst Zinsen stattgegeben und die weitergehende Klage durch Schlußurteil abgewiesen. Nachdem der Kläger Berufung eingelegt hatte, erhob die Beklagte die Rüge der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten gemäß § 110 ZPO und verlangte Sicherheit für die Prozeßkosten L und II. Instanz.
3 Daraufhin hat das Berufungsgericht dem Kläger eine Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,— DM auferlegt und ihm für die Beibringung der Sicherheitsleistung eine Frist gesetzt. Da der Kläger dieser Auflage nicht nachkam, verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig.
4 Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
5 Die Revision hat Erfolg.
6 L Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Kläger als iranischer Staatsangehöriger gemäß § 110 Abs. l ZPO verpflichtet, der Beklagten Sicherheit für die Prozeßkosten zu leisten. Eine Befreiung des Klägers von der Pflicht zur Sicherheitsleistung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ( § 110 Abs. 2 Nr. l ZPO ) hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, es gehe zu Lasten des beweispflichtigen Klägers, daß sich nicht habe feststellen lassen, ob die Artikel 218, 219 Nr. l der iranischen Zivilprozeßordnung, nach denen ein Deutscher als Kläger vor einem iranischen Zivilgericht keine Prozeßkostensicherheit leisten müsse, nach den politischen Veränderungen des Jahres 1979 im Iran noch angewendet werden.
7 II. Diese Auffassung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Revision rügt zu Recht die Anordnung einer Sicherheitsleistung durch das Berufungsgericht. Der Kläger ist nicht verpflichtet, der Beklagten gemäß § 110 Abs. l S. l ZPO Sicherheit für die Prozeßkosten zu leisten.
8 1. Gemäß § 110 Abs. l S. l ZPO haben Angehörige fremder Staaten, die vor deutschen
Gerichten als Kläger auftreten, der beklagten Partei auf deren Verlangen wegen der Prozeßkosten Sicherheit zu leisten. Die Verpflichtung des Klägers zur Sicherheitsleistung tritt nach § 110 Abs. 2 Nr. l ZPO dann nicht ein, wenn nach den Gesetzen seines Heimatstaates, hier also des Irans, ein Deutscher im gleichen Falle zur Sicherheitsleistung nicht verpflichtet wäre.
9 Um die Frage zu entscheiden, ob die Voraussetzungen dieses Befreiungsgrundes vorliegen, ist hier iranisches Recht festzustellen und erforderlichenfalls auszulegen. Das hat das Berufungsgericht auch getan. Insoweit ist die angefochtene Entscheidung zwar nur begrenzt nachprüfbar. Hier ist das Revisionsgericht jedoch nicht aufgrund der §§ 549 , 562 ZPO an einer Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung gehindert, weil im vorliegenden Fall unstreitig feststeht, daß die fraglichen Vorschriften der iranischen Zivilprozeßordnung auch nach der Revolution formell weiter gelten, so daß nur die Frage zu entscheiden ist, welche Folgerungen daran zu knüpfen sind, daß keine gesicherten Feststellungen hinsichtlich der iranischen Gerichtspraxis nach der Revolution vorliegen. Das aber ist eine revisionsrechtlich nachprüfbare Frage der Beweislastverteilung.
10 Da dieser Punkt in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht erörtert wird, ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht den Umfang der Beweispflicht des Klägers verkannt hat.
11 2. Für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Befreiungsgrundes – hier der Verbürgung der Gegenseitigkeit durch den Iran – ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig (Senatsurteil vom 7. Oktober 1981 – VIII ZR 198/80 = WM 1981, 1278 ; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 110 Rdn. 41; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 40. Aufl., § 110 Anm. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 110 Anm. l a; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. § 110 B IV; Rosenberg, Beweislast, 5. Aufl. S. 388). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis für die Verbürgung der Gegenseitigkeit durch den Iran jedoch erbracht.
12 a) Zwischen dem Iran und der Bundesrepublik Deutschland bestehen keine zivilprozessualen Staatsverträge. Nach Artikel 8 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 (RGBI. 1930 II S. 1006, 1010), dessen Fortgeltung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Iran durch Protokoll vom 4. November 1954 (BGBI. 1955 II S. 829 ff.) vereinbart worden ist, haben deutsche Staatsangehörige im Iran freien Zutritt zu den Gerichten und genießen gerichtlichen Schutz wie Inländer. Die Regelung prozessualer Einzelfragen, wie der Prozeßkostensicherheit, wurde der innerstaatlichen Gesetzgebung vorbehalten. Nach Artikel 218 der iranischen Zivilprozeßordnung von 1939 ist ein Ausländer als Kläger vor den iranischen Gerichten verpflichtet, auf Antrag eines iranischen Beklagten Sicherheit für die Prozeßkosten zu leisten, zu deren Ersatz er im Falle der Klageabweisung verurteilt werden kann. Von dieser Verpflichtung ist gemäß Artikel 219 Nr. l der iranischen Zivilprozeßordnung der Angehörige eines Staates befreit, in dem umgekehrt ein Iraner als Kläger eine Sicherheit nicht zu leisten hat (Bülow/Arnold, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (I960), Iran, E IV, S. 943/5; Langendorf, Prozeßführung im Ausland, Bd. 3, Stichwort: Iran, S. 2). Die Gegenseitigkeit ist also nach iranischem Recht verbürgt (vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 110 Rdn. 39; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, Anhang § 110; Zöller/Geimer, ZPO, 13. Aufl., IZPRTeil V, S. 2284; jeweils unter dem Stichwort: Iran).
13 b) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, daß aufgrund der politischen Ereignisse im Iran seit 1979 eine andere Beurteilung gerechtfertigt sei. Sie stützt sich dabei auf deutsche Presseberichte, wonach sich die iranische Führung vorbehalten habe, im Einzelfall zu entscheiden, ob sie geltende Gesetze anwende oder nicht. Die Beklagte meint, daß der Kläger deshalb nicht nur die formelle Weitergeltung der Artikel 218, 219 Nr. l ZPO des Iran, sondern auch deren tatsächliche Anwendung nach der iranischen Revolution nachweisen müsse.
14 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar steht nach einer neueren, in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinung eine ständige Gerichtspraxis neben Gewohnheitsrecht und Präjudizienrecht den Gesetzen im Sinne des § 110 Abs. 2 Nr. l ZPO gleich, wenn sie mit hinreichender Sicherheit festzustellen ist (Stein/Jonas/Leipold,aaO, § 110 Rdn. 35; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 110 Anm. 3, Wieczorek, aaO, § 110 C I c; Schneider, Jur. Büro 1966, 447 ff.; OLG Frankfurt MDR 1973, 232 ; anderer Ansicht noch OLG Köln JR 1951, 534 ). Und folgerichtig liegt es dann nahe, die Gegenseitigkeit dann nicht als verbürgt anzusehen, wenn von einem deutschen Kläger eine Sicherheitsleistung zwar nicht nach den ausländischen Gesetzen gefordert, wohl aber in der Praxis der Gerichte verlangt wird.
15 Die Frage, ob die Feststellung einer tatsächlichen Gerichtspraxis, die im Gegensatz zum formell geltenden Zivilprozeßrecht des betreffenden Landes steht, ausreicht, um
die Verbürgung der Gegenseitigkeit zu verneinen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn eine solche – von Artikel 218, 219 Nr. l der iranischen Zivilprozeßordnung abweichende – Praxis der iranischen Gerichte hat die Beklagte nicht einmal selbst hinreichend substantiiert behauptet. Lassen sich aber gesicherte Feststellungen über die derzeitige Gerichtspraxis nicht treffen, so entscheidet sich die Frage der Verbürgung der Gegenseitigkeit nach dem geltenden Zivilprozeßrecht des Iran. Wie der Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist – solange kein Gegenbeweis vorliegt – bei Staaten mit einer kodifizierten oder einer gewohnheitsrechtlich überlieferten Rechtsordnung davon auszugehen, daß ihre Gerichte entsprechend der geltenden Rechtsordnung verfahren (vgl. dazu BGHZ 42, 194 , 206; 49, 50, 52).
16 Der Hinweis der Beklagten auf Veröffentlichungen in deutschen Medien über Aussagen der neuen iranischen Führung zur Rechtsanwendung rechtfertigt noch nicht den Schluß, daß die Gegenseitigkeit tatsächlich nicht mehr verbürgt ist. Denn die von der Beklagten vorgelegten Berichte betreffen in erster Linie den Bereich des Strafrechts. Sie sind darüber hinaus zu vage und pauschal, als daß sich daraus konkrete Schlußfolgerungen über die Praxis der iranischen Zivilgerichtsbarkeit ziehen ließen. Das gilt um so mehr, als der Kläger eine über das iranische Generalkonsulat in München eingeholte Auskunft des Außenministeriums des Iran vorgelegt hat, in der die Fortgeltung der Artikel 218, 219 Nr. l der iranischen Zivilprozeßordnung ausdrücklich bestätigt wird. Solange keine konkreten Anhaltspunkte für eine abweichende iranische Gerichtspraxis nach der Revolution des Jahres 1979 vorliegen, haben deutsche Gerichte davon auszugehen, daß die Gegenseitigkeit der Befreiung von der Prozeßkostenvorschußpflicht gewahrt ist.
17 4. Das Berufungsurteil ist demnach wegen der fehlerhaften Anordnung der Sicherheitsleistung durch das Berufungsgericht aufzuheben. Die Sache war zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – nunmehr in der Sache selbst – an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.