OLG Bremen, 21.05.1999, 4 UF 5/99
Iranisches Scheidungs- und Sorgerecht: Mißhandlungen von Familienangehörigen als Scheidungsgrund; tatsächliche Personensorge; Volljährigkeit
Leitsatz
Mißhandlungen von Familienangehörigen durch den Ehemann können den Scheidungstatbestand des iran ZGB Art 1130 erfüllen.
Bei Anwendung iranischen Sorgerechts ist nach der Scheidung der Mutter, bei der die 9 und 15 Jahren alten Kinder leben, in der Regel die tatsächliche Personensorge – ggf einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Vertretung in Unterhaltssachen – zu übertragen, während dem Vater das Sorgerecht im übrigen verbleibt.
Zur Frage des Eintritts der Volljährigkeit nach iranischem Recht.
Tenor
Die Berufung des Antragsgegners gegen das Verbundurteil des Amtsgerichts Bremen, Familiengericht, vom 21.12.1998 wird zurückgewiesen, soweit es den Scheidungsausspruch (Ziff. I.) betrifft.
Soweit es den Ausspruch zur elterlichen Sorge betrifft (Ziff. II. des vorgenannten Urteils), werden die Rechtsmittel beider Parteien mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Sorgerechtsregelung betreffend K., geb. …, und N., geb. …, wie folgt gefaßt wird:
Die tatsächliche Personensorge i.S.d. Art. 1169 des iranischen ZGB einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Vertretung der Kinder in Unterhaltssachen für beide Kinder wird der Kindesmutter übertragen. Das Sorgerecht im übrigen übt der Kindesvater aus.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Antragstellerin zu 1/7, der Antragsgegner zu 6/7. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten bleibt es bei der Entscheidung des Familiengerichts.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert der Berufungsinstanz beträgt 5.500,- DM (Scheidung 4.000,- DM, elterliche Sorge 1.500 ,- DM).
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes im einzelnen wird gem. § 543 I ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Parteien sind iranische Staatsangehörige. Sie leben seit September 1998 getrennt. Das Familiengericht hat durch das angefochtene Scheidungsverbundurteil auf Antrag der Antragstellerin und gegen den Willen des Antragsgegners die Ehe der Parteien geschieden. Das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Töchter K., geb. …, und N., geb. … hat das Familiengericht in der Weise geregelt, daß es für beide Töchter die Personensorge der Mutter und die Vermögenssorge dem Vater übertragen hat. Beide Parteien greifen die getroffene Sorgerechtsregelung im Rechtsmittelwege an. Der Antragsgegner verfolgt darüber hinaus sein Ziel der Abweisung des Scheidungsantrages weiter.
Soweit es den Scheidungsausspruch betrifft, ist die zulässige Berufung des Antragsgegners unbegründet.
Das Familiengericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung seine internationale Zuständigkeit und die Anwendbarkeit iranischen materiellen Rechts auf das Scheidungsbegehren angenommen. Dem Familiengericht ist auch darin zuzustimmen, daß im Ergebnis die Voraussetzungen für eine Ehescheidung nach iranischem Recht vorliegen. Dabei kann dahinstehen, ob – wie es das Familiengericht angenommen hat – der Scheidungsantrag bereits nach Art. 1129 II des iranischen Zivilgesetzbuches (im folgenden: ZGB) begründet ist, also wegen Unvermögens des (hier seit längerem unverschuldet arbeitslosen) Ehemannes, die Kosten für den Unterhalt sicherzustellen. Dies hängt davon ab, ob die Vorschrift auch Fälle unverschuldeter Leistungsunfähigkeit umfaßt (bejahend Henrich, IPRax 1995, 166 , 167; vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, 1113 ) und ob ggf. ein solches Verständnis der Vorschrift zu einem gegen den deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) verstoßenden Ergebnis führen würde, was der Antragsgegner mit beachtlichen Argumenten geltend macht. Denn jedenfalls ist der Scheidungsantrag aus Art. 1130 ZGB begründet.
Nach den Angaben der Parteien und der beiden Kinder bei ihren Anhörungen durch das Familiengericht und – im zweiten Rechtszug – durch den Berichterstatter ist davon auszugehen, daß der Antragsgegner wiederholt die Antragstellerin und die Tochter K. mißhandelt hat. Beide Kinder haben bestätigt, was auch die Antragstellerin angegeben hat, daß nämlich der Antragsgegner bis zu deren Auszug nicht nur seine Ehefrau geschlagen, sondern seit langem auch K. ständig mißhandelt habe. Er habe K. zum Teil mit Holz oder mit anderen Gegenständen geschlagen. Einmal habe er ihre Hände in eine Steckdose geführt. Nach den Angaben der Kinder, die der Antragsgegner im übrigen auch nicht substantiiert bestritten hat, kann es keinen ernsthaften Zweifel an Mißhandlungen von Familienangehörigen durch den Antragsgegner geben. Ein Festhalten an der Ehe würde unter diesen Umständen für die Antragstellerin eine Härte i.S. des Art. 1130 ZGB bedeuten. Sie würde sich darüber hinaus im Sinne dieser Bestimmung -jedenfalls gegenüber der Tochter K. – schuldig machen, wenn sie die Ehe aufrechterhielte, so daß es nicht auf die Frage ankommt, ob das Schuldigwerden bei einem Festhalten an der Ehe kumulativ zu dem Vorliegen einer Härte hinzukommen muß (vgl. dazu Rahm/Künkel/Breuer, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, VIII Rn. 212 „Iran“). Die Antragstellerin hat schließlich ihr Scheidungsbegehren auch unverzüglich i.S. des Art. 1131 ZGB geltend gemacht.
Soweit es die Sorgerechtsentscheidung betrifft, geben die zulässigen Rechtsmittel beider Parteien Veranlassung zu einer Korrektur der getroffenen Regelung. Im wesentlichen sind die Rechtsmittel aber unbegründet.
Auch die Sorgerechtsentscheidung, für die das Familiengericht und der Senat als Beschwerdegericht ebenfalls international zuständig sind (Art. l des Haager Minderjährigenschutzabkommens vom 5.10.1961), richtet sich in der Sache nach iranischem Recht (Art. 8 III des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.2.1929). Nach den Bestimmungen der Art. 1168 ff., 1180 ff. ZGB , die für alle Schiiten gelten, stehen – auch nach der Scheidung – Mädchen im Alter der Kinder der Parteien unter der vollen elterlichen Sorge des Vaters. Jedoch hat der Richter nach islamischen Rechtsgrundsätzen die Möglichkeit, die tatsächliche Personensorge (hadana) auf die Mutter zu übertragen, wenn das Wohl der Kinder dies erfordert (vgl. Beschluß des Senats vom 21.10.1991, FamRZ 1992, 343 ). Daß das Wohl der beiden Mädchen, die bei ihren Anhörungen sowohl vor dem Familiengericht als auch im zweiten Rechtszug den Kontakt zum Vater grundsätzlich abgelehnt haben und ganz entschieden weiter bei der Mutter zu leben wünschen, hier eine Übertragung der tatsächlichen Personensorge auf die Mutter erfordert, steht außer Zweifel. Dies wird auch vom Antragsgegner, der in erster Instanz der Übertragung der Personensorge für beide Töchter auf die Mutter ausdrücklich zugestimmt hat, trotz seiner zweitinstanzlich erhobenen Vorwürfe betreffend das Erziehungsverhalten der Kindesmutter in jüngster Vergangenheit nicht ernsthaft in Frage gestellt. Fraglich kann allein sein, wie das Sorgerecht im übrigen zu regeln ist.
Klarzustellen war zunächst, daß die Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht ausübt, die Kinder in Unterhaltssachen zu vertreten. Insoweit kann dahinstehen, ob diese Rechte vom Recht der tatsächlichen Personensorge i.S.d. Art. 1169 ZGB umfaßt sind, was sowohl hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts (vgl. Rauscher, JR 1994, 184 , 187) als auch hinsichtlich des Rechts zur Vertretung in Unterhaltssachen zweifelhaft erscheint (vgl. zur Rechtslage insoweit nach deutschem Recht einerseits Palandt/Diederichsen, BGB, 58. Aufl., § 1626 Rn. 14 f., andererseits Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB, 12. Aufl., § 1626 Rn. 58 f.). Sind sie es nicht, so gebietet der deutsche ordre public ( Art. 6 EGBGB ) unter Berücksichtigung der gegebenen Inlandsbeziehung (die Parteien leben seit 1990 in Deutschland), sie der Kindesmutter zu übertragen. Angesichts der spannungsgeladenen Beziehung der Parteien und der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse ist damit zu rechnen, daß es hinsichtlich des Kindesunterhalts zu streitigen Auseinandersetzungen kommt. Im Hinblick darauf erscheint es insbesondere auch geboten, der Kindesmutter das Recht zu übertragen, die Belange der Kinder in Unterhaltssachen wahrzunehmen (vgl. dazu auch BGH, FamRZ 1993, 316 , 318; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, FamRZ 1991, 730 , 732).
Das Sorgerecht im übrigen hat beim Kindesvater zu verbleiben. Der deutsche ordre public gebietet insoweit entgegen der Ansicht der Kindesmutter auch unter den Gegebenheiten des vorliegenden Falles keinen korrigierenden Eingriff in das iranische Recht, das eine Übertragung dieses Teils des Sorgerechts auf die Mutter grundsätzlich nicht vorsieht. Daß der Verbleib der restlichen Bestandteile des Sorgerechts beim Antragsgegner geeignet sein soll, das seelische Wohl der Kinder zu bedrohen, obwohl es dabei um eine rein rechtliche Regelung geht, die – anders als die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Wahrnehmung der Unterhaltsbelange – kaum Auswirkung auf das tägliche Leben der Kinder haben wird, vermag der Senat nicht zu erkennen. Das von der Kindesmutter gewünschte Ergebnis, ihr die gesamte elterliche Sorge zu übertragen, läßt sich auch nicht aus Art. 1173 ZGB herleiten. Diese Bestimmung ermöglicht – dem § 1666 BGB vergleichbar – richterliche Eingriffe zum Schutz des Kindes bei dessen Gefährdung durch Vernachlässigung oder unmoralisches Verhalten des Vaters oder der Mutter (vgl. Rauscher, a.a.O.)- Der Umstand, daß der Antragsgegner in der Zeit vor der Trennung das Kind K. sowie die Antragstellerin mißhandelt hat, rechtfertigt auch nach Art. 1173 ZGB keinen Entzug der gesamten elterlichen Sorge. Das gilt auch dann, wenn die Behauptung der Antragstellerin zutreffen sollte, daß der Antragsgegner sie selbst auch nach der Trennung mißhandelt habe. Maßgebend insoweit ist, welche Maßnahmen der Schutz der Kinder erfordert. Abgesehen davon, daß es zu Mißhandlungen des Kindes K. seit der Trennung nicht mehr gekommen ist, sind die Kinder vor körperlichen Übergriffen des Vaters hinreichend dadurch geschützt, daß sie bei der Mutter leben und diese insbesondere das Recht hat, über ihren Aufenthalt zu bestimmen. Ihr Schutz erfordert es nicht, die gesamte elterliche Sorge -insbesondere die Vermögenssorge – vom Vater auf die Mutter zu übertragen.
Dem Erfordernis einer Sorgerechtsregelung steht nicht entgegen, daß nach Art. 1210 ZGB Anm. l ein Kind bereits mit Eintritt in die Pubertät, nämlich ein Mädchen mit 9 Jahren, ein Junge mit 15 Jahren, volljährig wird. Zwar richtet sich auch die Frage, wann die Kinder der Parteien volljährig werden, nach iranischem Recht als dem Heimatrecht der Kinder (Art. 8 III des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens; vgl. auch Art. 7 I EGBGB). Doch erscheint bereits zweifelhaft, ob Art. 1210 ZGB Anm. l die Volljährigkeit im Sinne des deutschen Rechts meint oder nicht lediglich im Hinblick auf Art. 1041 ZGB eine Aussage zur Pubertät als Voraussetzung der Ehefähigkeit macht (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 14a, OLG Köln, NJWE-FER 1997, 55 ; dazu auch OLG Frankfurt, a.a.O., S. 731). Sollte die Volljährigkeit im Sinne des deutschen Rechts gemeint sein, wäre eine solche Regelung beim Alter der Kinder K. und N. mit dem deutschen ordre public nicht vereinbar (vgl. dazu auch OLG Köln, a.a.O.). Eine Sorgerechtsregelung für beide Kinder ist daher in jedem Falle erforderlich.
Die Kostentscheidung folgt aus § 97 I und III ZPO.