GG Art. 1 I, 3 II, 6; BGB §§ 1565 I, 1566 II; EGBGB Art. 6, 14 I Nr. 1, 17 I
Das ausschließlich dem Ehemann im iranischen Zivilgesetzbuch zugestandene Recht, seine Frau nach Belieben zu verstoßen, verletzt die Grundrechte der Art. 1 I, 3 II und 6 GG. Einem deutschen Familiengericht ist daher eine Scheidung durch Talaq verwehrt.
AG Frankfurt, Urteil vom 09-08-1988 – 35 F 4153/87
Zum Sachverhalt:
Die Parteien haben am 31. 8. 1974 vor dem Standesamt im Iran die Ehe geschlossen. Aus der Ehe ist der gemeinsame Sohn A hervorgegangen. Anläßlich der Eheschließung wurde eine Ehezuwendung in Höhe von 1500 Rials sowie die Überlassung eines Korans vereinbart. Die Parteien lebten bis zum Jahr 1979 im Iran. Seitdem leben sie in der Bundesrepublik Deutschland, wo auch der gemeinsame Sohn geboren wurde. Die Parteien leben seit April 1985 getrennt. Ein zwischenzeitlich vorgenommener kurzfristiger Versöhnungsversuch scheiterte. Der gemeinsame Sohn A lebt seit dem Herbst 1985 in der Obhut der Mutter. Am 22. 2. 1988 hat der Ast. seine Ehefrau durch schriftliche, von zwei männlichen Zeugen unterzeichnete Erklärung verstoßen. Er hat erklärt, es handele sich dabei um eine Scheidung in Form des Talaq. In der mündlichen Verhandlung vom 9. 8. 1988 haben sich die Parteien über die Scheidungsfolgen geeinigt. Sie haben die Rechtsverhältnisse hinsichtlich Hausrat, Zugewinn und Ehewohnung geregelt. Der Ast. hat sich verpflichtet, an seinen Sohn Unterhalt in Höhe von 400 DM monatlich zu zahlen. Auf Ehegattenunterhalt haben die Parteien wechselseitig verzichtet, der Ast. hat sich aber verpflichtet, an die Ag. einen Abfindungsbetrag in Höhe von 15000 DM zu zahlen. Gleichzeitig ist der Ehe- und Morgengabevertrag vom 31. 8. 1974 aufgehoben worden.
Das AG hat das Verfahren zum Versorgungsausgleich abgetrennt und die Ehe der Parteien nach deutschem Recht geschieden.
Aus den Gründen:
… Auf den Scheidungsantrag beider Parteien war deutsches Recht anzuwenden. Die Scheidung unterliegt nach Art. 17 I EGBGB dem Recht, das für die allgemeinen Ehewirkungen maßgebend ist. Nach Art. 14 I Nr. 1 EGBGB ist dies das Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören oder während der Ehe zuletzt angehört haben, wenn einer von ihnen diesem Staat noch angehört. Da zumindest der Ast. noch Staatsbürger der Republik Iran ist, richten sich die Scheidungsvoraussetzungen somit grundsätzlich nach den Gesetzen des Iran. Danach ist eine Auflösung der Ehe durch Aufhebung oder durch Verstoßung (Talaq) möglich. Während das Aufhebungsrecht beiden Ehegatten aufgrund bestimmter körperlicher Anomalien des jeweils anderen Ehegatten zusteht, steht das Verstoßungsrecht allein dem Mann zu. Art. 1133 des Zivilgesetzbuches des Iran bestimmt insoweit: Der Mann kann seine Frau verstoßen, wann er will. In Art. 1134 heißt es: Die Auflösung der Ehe durch Talaq muß durch Aussprechen einer Wortbildung mit Talaq in Gegenwart von zwei vertrauenswürdigen Personen männlichen Geschlechts erfolgen, so daß diese es hören.
Diese Rechtsnormen der Republik Iran können aber nicht angewendet werden, weil ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit den Grundrechten im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar ist. Das ausschließlich dem Ehemann im iranischen Gesetz zugestandene Recht, seine Frau nach Belieben zu verstoßen, verstößt gegen die Grundrechte des Art. 1 I, 3 II und 6 GG. Mit der Menschenwürde unvereinbar ist es, Frauen in einem Status minderen Rechts zu halten (vgl. AKGG Art. 1 Anm. 31). Das einseitig dem Manne zugebilligte Recht, seine Frau nach Belieben zu verstoßen, sieht die Frau nicht als gleichwertigen Partner mit gleichen Rechten, sondern als ein dem Manne untergeordnetes Wesen an, von dem er sich nach seinem Gutdünken trennen kann. Diese Eheauffassung widerspricht auch derjenigen des Art. 6 I GG. Geschützt ist danach die auf freie Entscheidung gegründete gleichberechtigte partnerschaftliche Lebensgemeinschaft der Ehegatten, wie sie in den §§ 1353 ff. BGB ihren Ausdruck gefunden hat. Der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 II GG) wird auch dadurch verletzt, daß das Verstoßungsrecht einseitig nur dem Mann zusteht, der Frau aber keine vergleichbaren Rechte zugestanden werden, die es ihr ermöglichten, sich von einer als gescheitert empfundenen Ehe zu lösen. Der Verstoß gegen den ordre public ist nicht etwa dadurch ausgeschlossen, daß die Ag. auch selbst die Scheidung will. In der Rechtsprechung ist wiederholt ausgesprochen worden, daß eine Verstoßungsscheidung nach arabischem Recht jedenfalls dann nicht wirksam ist, wenn sie ohne das Wissen und gegen den Willen der Ehefrau durchgeführt worden ist (vgl. BayObLG, NJW 1982, 1949 = IPRax 1982, 104 ff.; OLG Frankfurt, NJW 1985, 1293 ff.).
Grundsätzlich abgelehnt worden ist eine Scheidung durch Talaq bislang nur durch das AG München (IPRax 1982, 250). Der im Talaq liegende Verstoß gegen den ordre public kann nicht abhängig davon beurteilt werden, ob die verstoßene Ehefrau diesem Verfahren zustimmt. Bereits in dem Vorgang der Verstoßung selbst liegt ein die Ehefrau herabsetzender und entwürdigender Akt, dessen Grundrechtswidrigkeit noch dadurch verdeutlicht wird, daß er lediglich durch die Anwesenheit männlicher Zeugen wirksam wird. Die Zustimmung der betroffenen Ehefrau zu diesem Verfahren kann daher die Grundgesetzwidrigkeit des Vorganges nicht aufheben. Die entgegenstehende Rechtsauffassung nimmt den Talaq im übrigen nicht lediglich als Voraussetzung einer Scheidung, sie muß ihn im tatsächlichen Bereich vielmehr sogar fordern, damit ein iranischer Ehemann einen Scheidungsantrag nach den Gesetzen des Iran schlüssig vortragen kann. Dies hat zur Folge, daß deutsche Gerichte im Rahmen ihrer Aufklärungspflichten darauf hinweisen müßten, daß eine Talaq-Scheidung bislang nicht schlüssig vorgetragen sei, indirekt also zum Vollziehen des Talaq auffordern würden. Dadurch würden grundgesetzwidrige Verhaltensweisen durch deutsche Gerichte provoziert, deren Aufgabe es im Gegenteil gerade ist, die Achtung aller Grundrechte, insbesondere die der Menschenwürde durchzusetzen (Art. 1 I 2 GG).
Schließlich würde die Anwendung allein des iranischen Rechts auf eine Ehescheidung zwischen iranischen Staatsangehörigen auch anerkennen, daß iranischen Ehefrauen ein Anspruch auf Scheidung von ihrem Ehemann grundsätzlich nicht zusteht. Diese rein willkürliche Unterscheidung ist wegen des Verstoßes gegen Art. 3 II GG von deutschen Gerichten nicht zu beachten.
Der Scheidungsantrag war daher nach deutschem Recht zu bescheiden. Gem. § 1565 I i. V. mit § 1566 II BGB war dem Scheidungsantrag beider Ehegatten stattzugeben, weil ihre Ehe als gescheitert anzusehen ist. Aufgrund des deutschen Gesetzes wird eine Scheidung der Ehe unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit mindestens 3 Jahren voneinander getrennt leben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.