OLG Hamburg, Urteil v. 21.5.2003 – 12 UF 11/02
Zum Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten nur noch darum, ob der Antragsgegner verpflichtet ist, die Morgengabe zu leisten, die im Ehevertrag v. 17. 6. 1999 vereinbart wurde.
Die Bet. sind iranische Staatsangehörige schiitisch-muslimischen Glaubens. Der Antragsgegner ist ferner seit 1992 in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt. Die Bet. hatten am 17.6.1999 in Teheran die Ehe geschlossen, wobei der Antragsgegner von seinem Vater vertreten wurde. Bei der Heirat wurde ein notarieller Ehevertrag abgeschlossen. In der deutschen Übersetzung des Vertrages heißt es:
„Morgengabe: Ein Koran im Geschenkwert von Rls. 10.000. 1 Spiegel u. 1 Paar Kerzenträger im Wert von Rls. 200.000 und 500 Bahar Azadi Goldmünzen, die restlos zu Lasten des Ehemannes gehen und bei Forderung seitens der Ehefrau ihr auszuzahlen sind.“
Der Ehevertrag sieht weiter vor, dass der Ehemann sich verpflichtet, der Ehefrau bei einer Scheidung, die sie weder beantragt noch durch pflichtwidriges Verhalten verursacht hat, die Hälfte des in der Ehe verdienten Vermögens zu übertragen. Außerdem enthält der Ehevertrag die Regelung, dass der Antragsgegner der Antragstellerin die unwiderrufliche Vollmacht erteilt, sich aus näher aufgeführten Gründen scheiden zu lassen.
Die Antragstellerin zog nach der Heirat zum Antragsgegner nach Deutschland. Das Zusammenleben, bei dem die Ehe auch vollzogen wurde, gestaltete sich schwierig: seit 17.4.2000 leben die Bet. getrennt. Im November 2000 reichte die Antragstellerin beim AG Antrag auf Scheidung ein, die auch der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung beantragte. Ferner hat die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner zu verurteilen, die vereinbarte Morgengabe an sie herauszugeben.
Mit Urteil v. 20. 12. 2001 hat das AG die Ehe geschieden und den Antragsgegner zur Herausgabe der als Morgengabe vereinbarten Gegenstände verurteilt.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Berufung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise erfolgreich.
I. Die internationale Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 606a I Nr. 2 ZPO. Auch wenn die Bet. im zweiten Rechtszug nur noch um die Morgengabe streiten, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach der ursprünglich für das Verbundverfahren begründeten Zuständigkeit.
II. Der Anspruch der Antragstellerin auf Herausgabe der Morgengabe ist nur [teilweise] begründet.
1. Die Verpflichtung zur Leistung der Morgengabe beurteilt sich hier im Ausgangspunkt nach deutschem Recht.
2. Dabei kann offen bleiben, ob die Morgengabe, die die Bet. in ihrem Ehevertrag vereinbart haben, dem Ehewirkungs-, Scheidungs-, Güterrechts-, Unterhalts- oder Vertragsstatut zu unterstellen ist. Denn alle genannten Statute fuhren hier zur grundsätzlichen Geltung deutschen Rechts: Bei einer Qualifikation als ehewirkungs- oder scheidungsrechtliche Frage wäre entweder unmittelbar gemäß Art. 14 l Nr. 2 oder gemäß Art. 17 l S. l i. V. mit Art. 14 I Nr. 2 EGBGB deutsches Recht als Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes maßgebend. Zwar haben die Bet. dieselbe – iran. – Staatsangehörigkeit. Da der Antragsgegner aber anerkannter Asylberechtigter ist und in Deutschland seinen Aufenthalt hat, ist er, wie das AG zutreffend entschieden hat, wie ein Deutscher zu behandeln (§ 3 AsylVerfG, Art. 12 GFK). Mangels zu beachtender gemeinsamer Staatsangehörigkeit kommt es dann auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Bet. an, der in Deutschland liegt, sodass deshalb deutsches Recht gilt. Diese Regelung geht auch dem deutsch-iran. Niederlassungsabkommen v. 17.12.1929 vor, dessen Art. 8 III hier an sich zur Geltung iran. Rechts fuhren würde (vgl. BGH, FamRZ 1990, 32). Bei güterrechtlicher Qualifikation kommt es zwar nach Art. 15 I EGBGB auf das Ehewirkungsstatut im Zeitpunkt der Eheschließung an. In diesem Zeitpunkt hatten die Bet. noch keinen gemeinsamen Aufenthalt in Deutschland. Da die Ehe aber ausschließlich in Deutschland geführt werden sollte und tatsächlich ausschließlich hier geführt worden ist, führt auch die engste Verbindung gemäß Art. 14 I Nr. 3 EGBGB zum deutschen Recht.
Bei einer Qualifikation als nachehel. Unterhaltsfrage beruft Art. 8 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht v. 2.10.1973, der in Art. 18 IV EGBGB inkorporiert wurde, das auf die Ehescheidung angewandte Recht, das hier ebenfalls das deutsche Recht ist.
Schließlich führt auch die vertragsrechtliche Qualifikation über Art. 28 II EGBGB zum deutschen Recht, denn der Antragsgegner, der als Verpflichteter als die charakteristisch leistende Partei zu betrachten ist, hatte bei Vertragsschluss seinen gewöhnlichen Aufenthalt m Deutschland. Da die Morgengabe für die in Deutschland zu fuhrende Ehe und die dann hier lebende Antragstellerin gedacht war, besteht auch kein Anlass, über Art. 28 V EGBGB wegen des iran. Abschlussortes und der iran. Staatsangehörigkeit der Bet. von dem gefundenen Ergebnis abzuweichen.
3. Die grundsätzliche Geltung deutschen Rechts bedeutet aber nicht, dass die vertragliche Regelung und insbesondere der den beiden Bet. gemeinsame rechtskulturelle Hintergrund des muslimisch-iran. Rechts unberücksichtigt bleiben dürfen. Bei der Anwendung des deutschen Rechts ist das Verständnis des Instituts der Morgengabe (mahr), das dem deutschen Recht fremd ist, vielmehr mit heranzuziehen.
4. Aus den Art. 1078 ff. des iran. Zivilgesetzbuchs [ZGB] ergibt sich, dass die Morgengabe im Wesentlichen der Preis dafür ist, dass der Ehemann ein quasi dingliches Recht auf ehel. Verkehr mit der Ehefrau erwirbt
(vgl. Haeri, Law of Desire. Temporary Marriage in Iran, 1989, S. 36 f.: „The most essential component of a marriage contract is the Submission – in fact or in theory – of brideprice, mahr, to the bride herself (sura 4:4). In exchange, the husband gains a legitimate ownership right over the object of sale, which in this case is his wife’s sexual and reproductive organ.“).
Die Art. 1087 II, 1088, 1092, 1093, 1096, 1097, 1098, 1099 und 1101 ZGB sprechen diesen Gedanken ebenfalls sehr deutlich aus. So heißt es in Art. 1098 ZGB (in der Übersetzung bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 6. Aufl. 1989 – Iran): „Ist eine dauernde oder zeitliche Ehe nichtig, und hat kein Geschlechtsverkehr stattgefunden, so hat die Frau keinen Anspruch auf den mahr, und der Mann kann das, was er darauf geleistet hat, zurückfordern.“ Ähnliches bestimmt Art. 1101 ZGB, auf den sich der Antragsgegner in seinem Schriftsatz v. 22. 11. 2001 besonders stützt: „Ist die Ehe aus irgendeinem Grund vor dem Geschlechtsverkehr aufgehoben worden, so hat die Frau keinen Anspruch auf den mahr, es sei denn, dass die Aufhebung wegen Impotenz des Ehemannes erfolgt ist; in diesem Fall hat die Frau den Anspruch auf die Hälfte des mahr, wenn die Ehe angefochten wird.“ Ferner bestimmt Art. 1099 ZGB: „Kannte die Frau die Nichtigkeit nicht, und hat Geschlechtsverkehr stattgefunden, so kann die Frau den üblichen mahr verlangen.“ Schließlich ist auf Art. 1092 ZGB hinzuweisen: „Wenn der Mann die Frau vor einem Geschlechtsverkehr verstößt, so hat sie Anspruch auf die Hälfte des mahr. Hat der Mann ihr vorher bereits mehr als die Hälfte übergeben, so kann er das Überschießende in Natur, in entsprechenden Stücken oder dem Werte nach zurückverlangen.“ Diesen Vorschriften ist zu entnehmen, dass die Ehefrau grundsätzlich Anspruch auf die gesamte vereinbarte Morgengabe hat, wenn die Ehe tatsächlich vollzogen worden ist.
Wird die Ehe allerdings aufgelöst, dann hängt es von der Form der Auflösung ab, ob der Anspruch auf den mahr insgesamt oder teilweise erhalten bleibt: Verstößt der Mann die Frau durch „talaq“, dann behält die Ehefrau den vollen Anspruch auf die Morgengabe, wenn die Ehe vollzogen worden war, und auf den halben mahr, wenn die Ehe nicht vollzogen war (s. Art. 1092 ZGB; ferner Harn, a. a. O., S. 43: „First, if the wife is divorced before penetration, the majority of the ulama [sc. die Gelehrten] maintain that she is entided to half of her brideprice. If, however, she is divorced after penetration, she is to receive the full amount.“; ebenso schon Amid, Le Divorce en Droit Iranien, 1939, S. 196 f.; ebenso auch die allgemeinen, in Indien erschienenen Werke zum islamischen Recht [einschließlich des schiitischen Rechts]: etwa Purohit, The Principles of Mohammedan Law, 2. Aufl. 1998, S. 157 ff.; Ahmad, Muslim Law of Divorce, 1984, S. 223).
Ist es dagegen die Frau, die aus Abneigung gegen den Ehemann die Ehe beenden will – und dazu berechtigt ist – (sog. „khul“-oder ,,qoll“-Scheidung), dann muss sie sich i. H. des mahr freikaufen und verliert entsprechend den Anspruch auf den noch nicht geleisteten mahr. Art. 1146 ZGB bestimmt insoweit: „Der talaq ist „qoll“, wenn die Frau aufgrund einer Abneigung gegen ihren Mann den talaq gegen Zahlung eines Vermögenswertes erlangt; dieses Vermögen kann der mahr selbst sein oder ein anderes entsprechendes Vermögensstück, das auch höher oder niedriger als der mahr sein kann.“ (vgl. auch Haeri, a. a. O., S. 44; Purohit, a. a. O., S. 205; Ahmad, a.a.O., S. 223). Wollen schließlich beide Gatten übereinstimmend die Ehe auflösen (sog. „mobarat“-, „mubarat“- oder ,,mubarah“-Scheidung), dann kann eine Rückzahlung oder ein Erlass bis zur Höhe des mahr zugunsten des Mannes vorgesehen werden.
(Art. 1147 ZGB: „Der talaq ist ,mobarat‘, wenn die Abneigung gegenseitig ist; in diesem Fall darf die Vergütung den Betrag des mahr nicht übersteigen.“; vgl. auch Haeri, a. a. O., S. 45: „Here, too, she has to ransom herself by paying somediing equal or less than her brideprice to her husband in return for her freedom.“; ferner Purohit, a.a.O., S. 207; Ahmad, a. a. O., S. 276).
Im Fall einer von beiden Gatten gewünschten Scheidung stellt die Höhe des mahr damit die Obergrenze dar, bis zu der die Ehefrau zur Rückzahlung oder zum Erlass der Morgengabe verpflichtet ist, doch kann auch weniger geschuldet sein. Da die konkret geschuldete Summe im schiitisch-iran. Recht stets Gegenstand der Vereinbarung der Gatten ist, lassen sich allgemeine Regeln zur Bemessung nicht angeben. Einen gewissen Anhalt mag jedoch bieten, dass Art. 1092, 1097, 1101 ZGB für unterschiedliche Situationen gescheiterter Ehen einen Anspruch auf die Hälfte des mahr einräumen.
Die zitierten Vorschriften und Stellungnahmen zeigen, dass der mahr im schiitisch-iran. Recht in allenfalls untergeordneter Weise der Sicherung des nachehel. Unerhalts der Frau dienen soll. Er ist in erster Linie der Preis für die Sexualität der Frau i.S. eines vertraglichen Austauschgeschäfts, als das die Ehe primär angesehen wird (vgl. sehr deutlich Haeri, a. a. O., S. 36 ff.). Auch Art. 1085 ZGB ergibt, dass der Anspruch auf den mahr neben einem Unterhaltsanspruch bestehen kann, mit ihm also nicht identisch ist. Art. 1085 ZGB lautet: „Sollte der mahr unverzüglich geliefert werden, so kann die Frau die Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Ehemann solange verweigern, als ihr der mahr nicht übergeben ist. Durch diese Weigerung verliert sie nicht ihren Unterhaltsanspruch (nafaqah).“ Dass die Morgengabe nach schiitisch-iran. Recht primär andere als unterhaltssichernde Funktionen hat, belegt hier zudem auch der Ehevertrag, den die Bet. abgeschlossen haben. Denn er sieht zusätzlich zur Morgengabe einen Vermögensausgleich nach Eheende („bis zur Hälfte seines vorhandenen Vermögens“) vor, gewährt ihn allerdings nur, soweit die Ehefrau nicht für das Eheende verantwortlich ist.
5. Bei der Anwendung deutschen Rechts auf die hier vereinbarte Morgengabe ist zunächst von der vertraglichen Vereinbarung der Bet. auszugehen. Danach geht die Morgengabe an sich „restlos zu Lasten des Ehemannes“ und hängt grundsätzlich nur von der Anforderung durch die Antragstellerin ab. Wegen des Zusammenhangs des mahr mit der Ehe und wegen des wenn auch sehr untergeordneten Unterhaltscharakters des mahr ist nach Auffassung des Senats zwar die entsprechende Anwendung des § 1579 BGB nicht ausgeschlossen. Diese Vorschrift stellt freilich nur eine spezielle Ausprägung des § 242 BGB dar, auf den zurückzugreifen wäre, wenn die Morgengabevereinbarung als rein vertragliche Abrede anzusehen wäre. Da die Morgengabe im iran. Rechtsverständnis aber nur sehr begrenzt Unterhaltsfunktionen erfüllt, kann auch § 1579 BGB – und könnte auch § 242 BGB – nur in einer Weise angewendet werden, die einerseits Billigkeitsvorstellungen, aber andererseits auch demjenigen rechtskulturellen Verständnis Rechnung trägt, das der hier zu beurteilenden Morgengabevereinbarung zugrunde liegt.
6. Danach kann die Antragstellerin nur die vereinbarten Gegenstände (Koran, Spiegel und Kerzenständer) und die Hälfte der vereinbarten Zahlung beanspruchen. Dafür sind die folgenden Überlegungen maßgebend:
a) Die Ehe ist hier aus der Sicht des iran. Rechts in Form der „mobarat“-Scheidung geschieden worden, da sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner die Scheidung der Ehe verlangt hat. Im Termin v. 6. 9. 2001 vor dem AG hat auch der Antragsgegner ausdrücklich erklärt, geschieden werden zu wollen. Bei dieser Scheidungsform hängt es von der Vereinbarung und damit von dem Ermessen der Ehegatten ab, ob und wieweit die Ehefrau den mahr zurückgeben oder auf ihn verzichten muss; keinesfalls muss sie mehr als den Wert des mahr aufwenden (Art. 1147 ZGB).
b) Das iran. ZGB belässt in mehreren Fällen gescheiterter, aber vollzogener Ehen der Ehefrau einen hälftigen mahr-Anspruch (s. oben II. 4.). Der Umstand, dass die Ehe vollzogen wurde, spricht deshalb auch hier für eine hälftige Teilung. Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin in einen ihr fremden Kulturkreis zum seit längerem in Deutschland lebenden Antragsgegner gezogen war, spricht ebenfalls dafür, den mahr-Anspruch der Antragstellerin jedenfalls zur Hälfte zuzubilligen. Ferner spricht für eine hälftige Teilung, dass die Bet. gegeneinander jeweils schwer wiegende Vorwürfe erhoben haben und wechselseitig die Ehe als unerträglich ansehen. Andererseits führt der Umstand, dass die Ehe nur von kurzer Dauer war, dazu, dass der Antragstellerin auch nicht mehr als die vereinbarten Gegenstände – als Ausdruck der vollzogenen Ehe (Koran, Spiegel, zwei Kerzenständer) – und die Hälfte der vereinbarten Zahlung (250 Bahar Ahzadi Goldmünzen) zuzusprechen waren.
c) Auf eine Aufklärung aller gegenseitigen Vorwürfe, die die Bet. erhoben haben, kommt es dagegen in sinngemäßer Anwendung des § 287 II ZPO nicht an.
7. …
8. Die Revision war zuzulassen, da die Frage grundsätzliche Bedeutung hat, wieweit die Vorstellungen des islamischen Rechts über die Morgengabe bei deren grundsätzlicher Beurteilung nach deutschem Recht zu berücksichtigen sind.